09.8.2024
Nachhaltigkeit in Familienunternehmen: Marcus Medicke im Interview
Familienunternehmen übernehmen traditionell Verantwortung für ihre Mitarbeitenden, die Region und ihre Produkte. Aber was heißt das konkret? Mit Marcus Medicke haben wir darüber gesprochen, wie er den Wandel in der Wirtschaft einordnet, welche Werte Medicke in der strategischen Ausrichtung leiten und wie wir unser gemeinsames Morgen gestalten wollen. Die Welt ist im Wandel. Unsere Wirtschaft könnte wieder ein Wunder brauchen, oder?
Marcus Medicke: Wir haben definitiv eine „Wohlfühlphase“ hinter uns. Auf unserer Agenda stand in den letzten Jahren eine „grüne Revolution“. Das haben wir als Gesellschaft nicht geschafft. Wir haben den Fokus auf unsere Wirtschaftskraft verloren. Ich mahne das schon lange an. Wir müssen die Menschen begeistern und motivieren. Denn auch in anderen Ländern sind die Menschen fleißig, arbeiten hart und haben Erfolg. Industrie und Kapital könnten dann in diese Länder gehen. Wir als Unternehmen können für uns alle individuell die beste Lösung entwickeln. Wir haben uns seit Jahren breiter aufgestellt mit einer großen Produktvielfalt und einer hohen Produktionstiefe und sind auch in andere Länder gegangen. Dort gibt es noch Arbeitskräfte, die wir in der Vergangenheit kaum bekommen haben.
Wie könnte so ein Wunder in der Wirtschaft aussehen und was sind für dich die Top-3-Faktoren, um den Wandel zu schaffen?
Erstens: Wir müssen die Rahmenbedingungen so anpassen, dass jeder das Gefühl hat, dass alle für das Wachstum arbeiten und nicht nur einige wenige. Die hohe Steuer- und Abgabenlast führt dazu, dass von dem, was die Menschen oder die Unternehmen heute erwirtschaften, zu wenig bei ihnen ankommt. Wenn die Menschen dann noch das Gefühl haben, dass mit dem Geld nicht sorgsam umgegangen wird, ist es schwer, Akzeptanz zu finden. Zweitens: Wir stehen vor der Herausforderung, neue Fachkräfte zu finden bzw. die vorhandenen länger im Unternehmen zu halten. Viele Rentnerinnen und Rentner würden gerne weiterarbeiten, wenn sie nur ihre Sozialabgaben zahlen müssten und nicht ihr Einkommen versteuern müssten. Warum sollten sie weiterarbeiten, wenn sie genauso gut in Rente gehen könnten und keine Steuern zahlen müssten? Als Rentner sind die Rahmenbedingungen günstiger, so dass es kaum attraktiv ist, weiterzuarbeiten. Viele solcher Themen greifen hier ineinander. Themen, die wir bundesweit angehen müssen. Drittens: Über Bürokratieabbau diskutieren wir seit Jahren genauso intensiv, aber es passiert leider nicht viel. Im Gegenteil: Die gesetzlichen Rahmenbedingungen werden immer komplizierter. Die Unternehmen fühlen sich in diesem regulatorischen Umfeld zunehmend ohnmächtig.
Es geht also auch darum, den Menschen Perspektive zu geben und ihnen aufzuzeigen, was sie beitragen können, um Zukunft mitzugestalten – sowohl aus Sicht des Mitarbeitenden als auch des Unternehmens?
Ja, Arbeit muss Wert schaffen – für die Gesellschaft - und sich lohnen – für jeden Einzelnen. Man muss mit den Menschen, die Teil dieses Prozesses sind, wertschätzend umgehen. Genauso muss die Unternehmerfamilie mit ihren Mitarbeitenden wertschätzend umgehen, denn sie sind das wichtigste Kapital. Für sie muss es sich lohnen, Zukunft zu gestalten.
Wie wichtig ist dieser Wandel für Medicke? Gibt es bestimmte Zukunftsperspektiven, die wir brauchen, damit es sich für das Unternehmen lohnt, in Deutschland tätig zu bleiben? Oder sagen wir einfach: Volle Pipeline, ist uns egal.
Also zunächst, sind wir jedem Kunden dankbar. Unsere Maxime ist es, mit allen unseren Kunden wertschätzend umzugehen. Wir haben mit jedem Kunden einen Partner auf Zeit. In der Regel sind wir zwei bis drei Jahre mit dem Kunden in einem Projekt so eng verbunden, dass beide Seiten wertschätzend miteinander umgehen sollten. Das schafft den Erfolg. Wenn wir dabei Innovationstreiber sind, neue Produkte für den Kunden entwickeln, dann sieht der Kunde sowohl perspektivisch einen Mehrwert in unserer Arbeit als auch in der Zusammenarbeit und der frühzeitigen Bindung im Projekt. Das ist für den Kunden, aber natürlich auch für uns als Unternehmen wichtig.
Weshalb habt ihr als Geschäftsführung euch vor diesem Hintergrund für unternehmerisches Wachstum im Bereich Nachhaltigkeit entschieden?
Weil es sich lohnt und weil wir alle einen Beitrag dazu leisten müssen. Das geht im Kleinen los und hört im Großen auf. Das muss für alle eine Aufgabe und Pflicht sein, sich neu zu orientieren und behutsamer mit den Ressourcen, dem Material und den Menschen umzugehen.
Innovationskraft und unternehmerisches Selbstverständnis sind dabei besonders wichtig, denn letztlich baut Nachhaltigkeitsentwicklung natürlich darauf auf, dass man Unternehmen zukunftsfähig und wirtschaftlich hält, in der Umwelt und für das Umfeld einen positiven Beitrag leistet, aber vor allem Geschäftsmodelle (weiter)entwickelt, die wirtschaftlich sind. Wenn man dieses Ziel verfolgt, was unterscheidet dabei Familienunternehmen von „anderen“ Unternehmen?
Ich glaube, dass in einem Familienunternehmen die Familie auch eine wesentliche Rolle spielen sollte. Es ist für uns viel leichter, gute und wirksame Entscheidungen herbeizuführen, weil es eben die Entscheidung der Familie ist. Im Besonderen, wenn die Familie klein ist, sind die Wege kurz. Wir sind nicht durch Fremdinvestoren gesteuert und nicht ausschließlich vom Profit getrieben. Wir sind als Unternehmerfamilie stattdessen unserer Verantwortung verpflichtet, dass wir sowohl für unsere Mitarbeitenden da sind, als auch ein positives Geschäftsergebnis erwirtschaften. Wir sind als Familie nicht dafür angetreten, nur kurzfristig Gewinne zu maximieren.
Hand aufs Herz: Wenn wir die Herausforderungen der nächsten Jahre weiter gut meistern und in 10 Jahren auf die Transformation zurückblicken, sind wir dann „fertigentwickelt“?
Nein! Das kann ich dir sofort beantworten. Du bist nie fertig entwickelt. Solange ich da bin, werde ich nie fertig sein in meinem Leben.
Wie gelingt im Rahmen dieser Verantwortung, die Familienunternehmen übernehmen, ein nachhaltiges Wachstum im Wandel? Welche Werte sind dafür die Grundlage?
Werte sind Innovationstreiber. Es braucht Fleiß, Pflichtbewusstsein, Ehrlichkeit, Neugierde und Kraft. Du musst dich begeistern lassen. Du musst täglich senden und empfangen. Du musst zuhören. Es geht darum, auch kritische Gespräche kooperativ und konstruktiv zu führen. Beispiel: Der Kunde hat ein berechtigtes Anliegen und wünscht sich ein anderes Ergebnis. Seiner Kritik wohnt auch der Wunsch inne, dass du es beim nächsten Mal besser machst. Ich glaube, dass wir genau an diesen Gesprächen und Kunden gewachsen sind. Das hat mich immer angetrieben. Ich habe mich zwar im Moment geärgert, aber am nächsten Tag habe ich die Lösung dafür gesucht.
Neugierde und Dranbleiben. Als Familienunternehmen, das in seinem Selbstverständnis diese Neugierde verankert, auf Innovationskraft setzt, gerne den Status Quo hinterfragt und sich auch in neue Felder wagt: Was ist für Medicke besonders wichtig, abgesehen von der Grundlage, dass es Sinn macht, in diesen Wandel zu investieren?
Wie vorhin gesagt, bin ich fest davon überzeugt, dass die Mitarbeitenden und ihre Innovationskraft das größte Kapital der Unternehmen sind. Es ist der tägliche Einsatz und der Wille, das Beste zu geben, gepaart mit den richtigen Kunden, die genau das wertschätzen. Das sind die Grundlagen für ein erfolgreiches Geschäftsmodell. Dabei ist es wichtig, dass beide Seiten auf „Senden“ und „Empfangen“ eingestellt sind. Wenn der eine „sendet“ und der andere nicht „empfängt“, dann wird es nicht funktionieren. Nur dann können wir eine Beziehung auf Augenhöhe und einen wertschätzenden Umgang miteinander pflegen. Mir macht es Spaß, mit Menschen zu arbeiten, mit denen ich diese Eigenschaften teile. Es ehrt mich, dass ich viele Menschen im Unternehmen habe, die diese Werte teilen. Ich führe sie gerne.